Eine zauberhafte Nachbarschaftsgeschichte

Ich bin vor 26 Jahren fürs Studium von Graz in den 23. Wiener Bezirk in das Haus meiner Urgroßmutter gezogen. Damals habe ich nicht geahnt, welch glückliche Nachbarin ich eines Tages sein werde!

Eingangsbereich
Das Haus meiner Großmutter. Eingang vom Gartentor aus gesehen.
Foto: Susanne Lippitsch

Dass ich dieses Juwel mit einem knapp 1000-Quadratmeter-Grund samt altem Baumbestand im Herzen Liesings einmal so lieben, schätzen und sogar besitzen würde, hätte ich mir nie gedacht. Ich wuchs über die Jahre mit Haus und Garten zusammen und machte beides Stück für Stück zu „Meinem“. Ich entdeckte meine Liebe zum Gärtnern und genieße es bis heute, als Ausgleich zur Arbeit immer wieder durch den Garten zu gehen und mal hier und da zu zupfen, zu schneiden, zu pflanzen und zu säen.

Umgeben von Schulen und Kindergärten herrschte an Wochenenden und Ferien nicht nur herrliche Stille, man hatte absolute Privatsphäre im Garten und störte auch niemanden, wenn es mit Gästen einmal etwas länger lauter war.

Ein Ende der Idylle?

Vor etwa vier Jahren kam die Hiobsbotschaft, dass nachdem meine Nachbarin – eine sehr liebe alte Dame – verstorben war, das Nachbargrundstück samt dem traumhaft verwilderten Garten an einen Bauträger verkauft wurde. Als ich den Plan auf der Baupolizei eingesehen hatte, war ich geschockt: 18 Eigentumswohnungen auf bis zu vier Stockwerken verteilt und vom Garten so gut wie nichts mehr übrig.

Vorderer Gartenbereich
Vorderer Gartenbereich: Blick auf das Nachbarhaus am Ende der Bauphase.
Foto: Susanne Lippitsch
Bauarbeiten beim Nachbarnhaus
Nachbarhaus im hinteren Gartenbereich während der Bauzeit.
Foto: Susanne Lippitsch

Etliche Einsprüche und Monate des Baulärms und Schmutzes später, zogen die ersten neuen Nachbarn ein. Ich hatte davor Frieden mit der Situation geschlossen und beschlossen, wenn die mir schon alle in den Garten schauen (sie können gar nicht anders), dann ist es wohl am besten, wir lernen uns kennen.

Ich gestaltete mit meiner Tochter Einladungen und warf eine in jeden der 18 Briefkästen. Und so kam es, dass am Lagerfeuer in meinem Garten eine zauberhafte Nachbarschaftsgeschichte begann.

Der Anfang von Freundschaften

Aus einem anfänglichen Beschnuppern entstand nicht nur eine gute Gemeinschaft im Nachbarhaus, sondern auch richtige Freundschaften.

Ein paar Wochen nach dem ersten Zusammentreffen läutete es am Tor und ein Komitee von nebenan überreichte mir ein Marillenbäumchen mit bunten Bändern und den Namen der Spender drauf. Dieses Bäumchen war der Ersatz für die vielen, durch den Bau gefällten Bäume und fand einen Platz, der auch von drüben sichtbar ist.

Es gesellte sich ein traumhafter Rosenstock dazu und seit heuer steht ein rotes Bänkchen neben dem Marillenbaum, der inzwischen sogar fünf Früchte getragen hat. Das Bänkchen kam vom Osterhasen von nebenan und in regelmäßigen Abständen wird darauf Kaffee getrunken, geplaudert und anschließend meistens etwas gearbeitet, denn es gibt ja bekanntlich immer etwas zu tun.

Die Nachbarskinder (meine Tochter ist dieses Jahr nach Graz gezogen, um dort ihre Ausbildung zu starten) kommen regelmäßig herüber, um auf dem Trampolin zu hüpfen, auf der großen, roten Schaukel zu schaukeln, Blumen zu gießen oder im Baumhaus zu spielen. Und seit diesem Sommer hilft mir der 6-jährige Emil sogar beim Rasenmähen. Selbstverständlich gibt es dafür einen Euro fürs Sparschwein, ich bin mir aber sicher, er würde es auch ohne Entlohnung machen.

Die große rote, runde Schaukel
Foto: Susanne Lippitsch
Blick von hinten nach vorne in den Garten mit Trampolin und Büro-Conatiner rechts Foto: Susanne Lippitsch

Das Leben in der Gartengemeinschaft

Zweimal im Jahr gibt es auch Großeinsatz: Einmal im Frühjahr, wenn die zwei Kirschbäume rot leuchten, steigt der furchtlose Papa vom Emil auf die endlose Leiter und pflückt kiloweise Kirschen, die dann unter dem Baum von Müttern und Kindern entkernt und in Portionen eingefroren werden. Das zweite Mal findet im Herbst statt, wenn riesige Mengen Laub zu großen bunten Haufen zusammengerecht und in die große Biotonne versorgt werden müssen. Da braucht es dann auch immer eines der Kinder, dass das Laub verdichten – das heißt in der Tonne herumhüpfen – muss.

Fehlt es einmal an Eiern, Butter, Bröseln oder Waschmittel gibt es den „Rund um die Uhr Nahversorger“ im Nebenhaus. Geht der Weinvorrat aus, reicht ein Anruf bei Top 10 und dieser wird kistenweise frei Haus geliefert, weil Astrid und Alfred denselben Wein lieben und sich selbst regelmäßig im nahe gelegenen Weinbaugebiet eindecken. Dieser muss dann natürlich auch gleich verkostet werden und ich bekomme dadurch die Gelegenheit dazu, meinen Garten einmal von der anderen Seite zu betrachten und mich dazu mit selbstgekochten Köstlichkeiten verwöhnen zu lassen.

Die Futterklappe

Nicht mehr vermissen möchte ich die „Futterklappe“, die ihren Namen mehr symbolisch trägt und in Wirklichkeit ein Platz auf der Mauer zwischen meinem Garten und Anitas Terrasse ist. Immer wieder landen dort kulinarische Köstlichkeiten, nicht selten experimenteller Natur, die oft bei einem Kaffee nachbesprochen werden müssen. Der Kaffee wird manchmal auch durch Prosecco oder Aperol ersetzt.

Inzwischen ist so viel Zeit vergangen, dass der Weg zur „Futterklappe“ beinahe nur mit der Machete zu bewerkstelligen ist, da Bambus und Kirschlorbeer ein grünes Dickicht bilden und ich schon Überlegungen angestellt habe, ob nicht doch ein kleiner Durchbruch machbar wäre.

Foto: Susanne Lippitsch

Spontanes Grillen steht in den warmen Monaten oft am Programm, da holt jeder aus dem Kühlschrank, was zu finden ist und manchmal dauert es bis in die Nacht, bis wieder Ruhe einkehrt.

Wenn ich mal auf Reisen bin, wird die Katze mit Futter und der Garten mit Wasser versorgt und ich verständigt, wenn etwas Unerwartetes passiert, das ohne mein Wissen nicht gelöst werden kann.

Gemeinsam statt einsam

Im ersten Stock über mir wohnt meine entfernt verwandte und allen bekannte 96-jährige Nachbarin Friedl, die dieses Fleckchen offenbar genauso liebt wie ich und alles dafür tut, auch noch mit 100 Jahren hier wohnen zu können. Flink und geschmeidig biegt sie um die Ecke um ihren Einkauf in den ersten Stock – ohne Lift wohlgemerkt – zu transportieren und regelmäßig besucht sie ihre durch die Bank jüngeren Freunde im Altersheim. Einzig das Gehör lässt merklich nach, was bei dem Trubel, der hier manchmal herrscht, gar kein Nachteil ist.

Dennoch gibt es auch Tage, an denen sie sich nicht so fit fühlt und auch da springen die Nachbarn ein, wenn es in meiner Abwesenheit mal eine Kleinigkeit zu besorgen gilt. Im Gegenzug wechselt ab und an museumsträchtiges Spielzeug den Besitzer und wird mit Staunen angenommen.

Der Garten von der Terrasse aus gesehen.
Foto: Susanne Lippitsch

Dass ich immer wieder gefragt werde, ob ich etwas brauche, seien es Einkäufe oder Hilfe jeglicher Art, versetzt mich immer noch in Staunen und macht mich zur glücklichsten Nachbarin, die man sich vorstellen kann.

Und dass ich niemals vom Fleisch fallen werde, dafür sorgt Emils Mama, die nicht nur meine Liebe zu Selbstgebackenem, sondern auch andere Leidenschaften handwerklicher oder gärtnerischer Natur teilt. Sie hat im Übrigen nicht nur den wunderbaren Emil, sondern auch seinen entzückenden kleinen Bruder Finn und Nummer drei ist bereits im Anmarsch. Damit ich, „die Tante Berg“*, noch mehr Nachbarn habe, die mein Leben bereichern.

Und zum Glück ist es bald Dezember, denn da gibt es fix das große Punschtrinken bei mir im Garten – mit all den lieben Menschen, ohne die ich mir mein Leben hier gar nicht mehr vorstellen kann!

Gemeinsamer Punschumtrunk, Foto: Susanne Lippitsch

* „Die Tante Berg“: die Nachbarin aus Astrid Lindgrens „Kindern aus der Krachmacherstraße “.


Susanne Lippitsch ist selbstständig als Verpackungsdesignerin und unterrichtet an der FH Joanneum in Graz in den Lehrgängen Industrial Design und Informations Design, an der Werbe- und Designakademie in Salzburg und an der FH Campus Wien im Lehrgang für Verpackungstechnologie. Neben dem entwickeln von außergewöhnlichen Verpackungen, liebt sie es, in Haus und Garten gestalterisch tätig zu sein oder kulinarische Köstlichkeiten auszuprobieren. Sie hat eine fast 15-jährige Tochter und lebt mit Katze Mietze, Partner Thomas und Nachbarin Friedl in einem Haus an Wiens südlichem Stadtrand.


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